„Eine Ausbildung in einem sozialen Beruf macht stolz und stark“
Was als Pilotprojekt 2014 angefangen hat, wuchs ab dem „Sommer der Flucht“ im Jahr 2015 zu einer Dachmarke mit zehn Teilprojekten heran. Hier blicken wir mit den Teilprojekten auf die bewegten vergangenen Jahre zurück. Heute sprechen wir mit der Projektleiterin von ARRIVO BERLIN Soziales, Frau Christine Döbler.
Was als Pilotprojekt 2014 angefangen hat, wuchs ab dem „Sommer der Flucht“ im Jahr 2015 zu einer Dachmarke mit zehn Teilprojekten heran. Hier blicken wir mit den Teilprojekten auf die bewegten vergangenen Jahre zurück. Heute sprechen wir mit der Projektleiterin von ARRIVO BERLIN Soziales, Frau Christine Döbler.
Frau Döbler, unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ begleitet die GesBiT Gesellschaft für Bildung und Teilhabe mbH, Träger von ARRIVO BERLIN Soziales, seit vielen Jahren geflüchtete Menschen auf dem Weg in Arbeit und Bildung. Da dockt ARRIVO BERLIN ja genau richtig an, oder?
Ja, dank dieser Erfahrung und guter Kontakte zu Unternehmen in der Sozialwirtschaft lag es für uns sehr nahe, uns auch im Rahmen von ARRIVO BERLIN zu engagieren.
Was war der entscheidende Punkt beim Aufbau des Projekts?
Ganz zentral ist ein guter und systematischer Zugang zu den Geflüchteten. Mit unserer mobilen Beratung in den Unterkünften, in den Willkommensklassen bei Sprachschulen und in den Migrant_innenvereinen haben wir es geschafft, eine demographisch vielfältige Gruppe anzusprechen: Zu uns kommen Menschen aus fast allen Schichten der jeweiligen Herkunftsgesellschaft. Seit etwa einem Jahr sehen wir auch wachsendes Interesse von Frauen an einer staatlich anerkannten Ausbildung, so dass der Anteil von Frauen derzeit bei fast 50 Prozent liegt.
Trotz Diversität, was verbindet Ihre Teilnehmenden?
Menschen, die zu uns kommen, wollen hier zuhause sein: Leben, arbeiten und ankommen. Umso erfreulicher ist es festzustellen, dass viele Teilnehmenden es geschafft haben, sich ein unabhängiges Leben in Deutschland aufzubauen. Einige arbeiten nach einer Qualifizierung in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen. Die ersten unserer Teilnehmer_innen haben ihre wirklich anspruchsvolle Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Das ist immer eine Herausforderung, die nicht zu unterschätzen ist.
Eine mobile, direkte Anspreche stellt sicherlich auch eine Herausforderung bei der Zusammenstellung des Projektteams dar.
Ja, eine gewisse Flexibilität braucht es dazu schon. Auch, um sich auf die unterschiedlichen Lebensumstände der Ratsuchenden einzulassen. Zu unserem Ansatz gehört für uns ganz selbstverständlich dazu, Mitarbeitende zu finden, die über entsprechende Sprachkenntnisse verfügen und in unterschiedlichen Kulturkreisen zuhause sind. Das ganze Team brennt für die Sache, setzt sich mit Herz für jeden einzelnen Menschen ein und bemüht sich, den jeweils besten Weg gemeinsam mit den Ratsuchenden zu gehen. Nur dank diesem Engagement war es möglich, so viele Menschen auf ihrem teils steinigen Weg in Ausbildung oder Arbeit zu begleiten.
Wie führen Sie Ihren Ansatz der persönlichen Ansprache in diesen Coronazeiten weiter?
Das Projekt hat sich im Lauf der Zeit als „lernendes Projekt“ immer der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt angepasst. Auch in Zeiten der Coronapandemie haben wir uns im Sinne unserer Zielgruppe wieder an die veränderte Situation angepasst und weite Teile des Angebots digital umgestellt. Die Pandemie führte bei ARRIVO BERLIN Soziales sogar zu steigenden Beratungs- und Vermittlungszahlen. Uns kommt dabei zu Gute, dass ehemalige Teilnehmende uns im Bekanntenkreis gerne weiterempfehlen. Inzwischen beraten wir parallel dazu auch wieder persönlich vor Ort.
Und es hat sich sicherlich auch herumgesprochen, dass Fachkräftemangel in den sozialen Berufen herrscht.
Fachkräftemangel bedeutet für unsere Teilnehmenden, dass sie sehr gute Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt haben. Die berufsbegleitende Erzieher_innenausbildung, die vielfältigeren beruflichen Möglichkeiten über die generalisierte Ausbildung zur Pflegefachkraft und nicht zuletzt steigende Gehälter machen die Ausbildungen deutlich attraktiver.
„Der Sommer der Flucht“ im Jahr 2015 ist fünf Jahr her. Was hat sich seitdem verändert?
Der Wunsch, Geflüchteten ehrenamtlich zu helfen, hat deutlich nachgelassen. Auch die öffentliche Aufmerksamkeit für die Lebenssituation von Geflüchteten sinkt und ist weniger prominent in den Tagesnachrichten vertreten. Umso wichtiger sind die professionellen, aber auch die ehrenamtlichen Beratungsangebote, die sich mit meist großem Einsatz um Einzelne kümmern, die nicht vergessen, welche Schicksale die Menschen erlitten haben. Dabei ist es meiner Meinung nach aber immer auch wichtig, positiv und zukunftsorientiert nach vorne zu blicken.
In wie weit trägt die Lebenssituation von geflüchteten Personen zur Berufswahl im sozialen Bereich bei?
Unser Modellprojekt ermöglicht es „Geflüchteten der Aufnahmegesellschaft etwas zurück zu geben“, wie es eine Teilnehmerin einst formulierte – denn über ihre Ausbildung im sozialen Beruf werden sie selbst zu Helfenden. Das zu erleben, macht stolz und stark zugleich. Viele haben in ihrer eigenen Fluchtgeschichte erfahren, wie wichtig eine Hilfestellung sein kann. Nicht selten ist das durchaus mit ein wichtiger Grund dafür, dass sie sich für einen sozialen Beruf entscheiden.
In den vergangenen drei Jahren brachten Sie mehr als hundert Personen in Ausbildung oder Arbeit. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Meine persönlichen Highlights sind, wenn ehemalige Teilnehmende spontan in die Beratungsstelle kommen, um uns für die Unterstützung zu danken, ihre persönliche Entwicklung zu sehen, wenn sie gestärkt und oftmals deutlich selbstbewusster ihr Leben meistern oder wenn wir in die strahlenden Augen derjenigen sehen, die endlich einen Ausbildungsplatz in der Tasche haben. Es gab einmal eine junge Frau, die vor Freude weinte. Das hat uns alle zutiefst bewegt. Der Weg für manche ist vielleicht schwer, manchmal braucht er viel Zeit, aber er lohnt sich.