Postmigratorische Belastungsfaktoren behindern Integrationsprozess
Für Berater:innen im Bereich Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ist Wissen über die besonderen Bedürfnisse traumatisierter Geflüchteter ein wichtiger Teil beruflicher Kompetenz. Deshalb stellen wir Ihnen den Sammelband „Trauma – Flucht – Asyl“ vor, in dem sich zahlreiche Einsichten und praktische Empfehlungen für die Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten und Asylsuchenden finden. Er zeigt, dass eine nachhaltige Erwerbstätigkeit ein Schlüsselaspekt für die psychische Gesundheit von Geflüchteten ist.
Die Herausgeber Thomas Maier, Naser Morina, Matthis Schick und Ulrich Schnyder haben den Sammelband „Trauma – Flucht – Asyl“ veröffentlicht. Das „interdisziplinäre Handbuch für Beratung, Betreuung und Behandlung“ besteht aus zahlreichen Beiträgen anerkannter Expert:innen aus dem deutschsprachigen Raum, darunter auch das Berliner Zentrum für Folteropfer. Vorangestellt ist ein Geleitwort des UNHCR. Das mit 532 Seiten sehr umfassende Buch aus dem Jahr 2019 gewährt Einblicke in Lebensrealitäten von Geflüchteten, die auch im Jahr 2023 noch aktuell sind.
Das Buch gliedert sich in die drei Teile „Grundlagen“, „Gesundheit, Versorgung und Integration“ und „Behandlung von Traumafolgestörungen“. Es zeigt, dass traumabedingte Störungen weit über die posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) im engeren Sinne hinausreichen und unter anderem auch Depression, Angst, Dissoziation und Schlafstörungen umfassen. Berichte von Geflüchteten zeigen, dass traumabezogene psychische Störungen ihren Ursprung neben Kriegs- oder Verfolgungserlebnissen auch in sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, Armut oder der oft gefährlichen Reise haben können.
Der Arzt Matthis Schick weist im Kapitel 6 auf die wechselseitige Beeinflussung von postmigratorischen Belastungsfaktoren und psychischer Gesundheit hin. So könnten beispielsweise lang dauernde Asylverfahren, ein unsicherer Aufenthaltsstatus und Angst vor Abschiebung psychische Probleme verstärken. Eine nachhaltige Erwerbstätigkeit sei ein Schlüsselaspekt für die psychische Gesundheit von Geflüchteten, so dass sich ein beschränkter Zugang zu Arbeit bei Asylsuchenden bzw. Arbeitslosigkeit negativ auswirken könne. Hinzu kämen häufig Sorgen um Familienangehörige, die im Herkunftsland weiter in Lebensgefahr sind. Weitere Belastungsfaktoren könnten beengte Wohnverhältnisse sein oder auch soziale Isolation. In einem Fallbeispiel wird veranschaulicht, wie solche postmigratorische Belastungsfaktoren den Integrationsprozess beispielsweise hinsichtlich Spracherwerb oder Arbeitsfähigkeit be- oder verhindern können.
In Kapitel 11 geht Patricia Gantner vom Amt für Migration und Zivilrecht Graubünden auf die Hindernisse und Hürden bei der Arbeitsmarktintegration ein: von rechtlich-administrativen, über sprachliche Barrieren, dem Fehlen von sozialen Netzwerken und der Unkenntnis der Anforderungen des Arbeitsmarkts sowie ungenügender Würdigung der beruflichen Erfahrungen und Kompetenzen von Geflüchteten hin zur psychischen Gesundheit der Geflüchteten.
Viele Geflüchtete würden die Nichtbeachtung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen als Entwertung erleben. Patricia Gartner weist darauf hin, dass es neben einer erleichterten Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen auch wichtig sei, nichtformelle Kompetenzen festzustellen und empfiehlt, Berufsorientierung auch hinsichtlich des Berufsbildungssystems zum Beispiel durch Praktika und Jobcoaching.
ARRIVO BERLIN trägt mit seiner Arbeit dazu bei, diese Empfehlungen in die Praxis umzusetzen.
Thomas Maier, Naser Morina, Matthis Schick, Ulrich Schnyder (Hrsg.): Trauma – Flucht – Asyl. Ein interdisziplinäres Handbuch für Beratung, Betreuung und Behandlung. hogrefe. 2019.