Ehrenamtliche Mentor*innen für queere* Geflüchtete
Mit einem Mentor*innenprogramm unterstützt der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg queere* Geflüchtete beim Ankommen in Deutschland. Die ehrenamtlichen Pat*innen helfen bei der Bewältigung des Alltags – bei Behördengängen und der Wohnungssuche, beim Deutschlernen oder bei der Freizeitgestaltung. In Kooperation mit Unternehmen geht es dabei auch um die Integration in den Arbeitsmarkt.
Gastbeitrag von Lucina Akintaya
Das Mentor*innenprogramm für queere Geflüchtete ist ein Projekt von MILES – dem Zentrum für Migrant*innen, Lesben und Schwule – des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg e.V. Seit der Gründung des Programms im Jahr 2016 setzen sich Projektmitarbeitende gemeinsam mit ehrenamtlichen Unterstützenden für die Bedürfnisse von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren* (LSBTIQ*) Geflüchteten und Menschen mit Migrationsbiographie ein.
Insbesondere in den Massenunterkünften berichten queere Geflüchtete von Bedrohungen durch andere Mitbewohner*innen. Auch bei Übersetzungen durch Sprachmittler*innen kommt es immer wieder zu Diskriminierungen, da diese ihnen ablehnend gegenüberstehen. Dies geschieht zudem häufig in Situationen von wichtiger Bedeutung, wie etwa dem Asylverfahren oder ärztlichen Angelegenheiten.
Bei MILES, einer Erstanlaufstelle und Safer Space für queere Migrant*innen, gibt es ein breites Beratungs- und Unterstützungsangebot. Neben psychosozialer Beratung, Rechtsberatung und einer Krisenunterkunft ist aufgrund wachsender Anfragen, die die Kapazitäten der Beratungs- und Hilfsstrukturen überstiegen, das Mentor*innenprogramm entstanden. Das zivilgesellschaftliche Engagement der ehrenamtlichen Mentor*innen ist eine enorm wertvolle Unterstützung für die queeren Geflüchteten, die Mentees.
Vertrauensvolle Ansprechpersonen wichtig
In den 1:1 Pat*innenschaften wünschen und erhalten Mentees in erster Linie Unterstützung in Bereichen wie Spracherwerb, Job- und Wohnungssuche, Begleitung bei Behördengängen und Arztbesuchen, Freizeitgestaltung und dem Anschluss zur queeren Community. Im Mittelpunkt steht hierbei das Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe. Einen autonomen, selbstbestimmten Alltag führen zu können ist ein elementares Bedürfnis der teilnehmenden Mentees.
In der Berliner Beratungslandschaft gibt es oftmals für jedes dieser Anliegen eine andere zuständige Stelle. Daher ist es für viele Mentees wichtig, sich an eine vertrauensvolle Ansprechperson wenden zu können, die dabei hilft, das geeignete Unterstützungsangebot zu finden und den Überblick zu behalten.
Alleinstellungsmerkmal des Mentor*innenprogramms ist die spezifische Zielgruppe. Da queere Geflüchtete zusätzlich zu den Herausforderungen des Ankommens in einem anderen Land auch meistens mit Themen wie Diskriminierungserfahrungen und Fragen im Zusammenhang mit der eigenen Identität konfrontiert sind, ist ein sensibler Umgang von großer Bedeutung. Daher geht dem Matching ein Sensibilisierungsworkshop voran, in dem Mentor*innen auf ihr Engagement vorbereitet und von der Projektleitung persönlich sensibilisiert werden.
Ebenso werden einzeln Erstgespräche mit den Mentees geführt, damit als Basis für die Unterstützung auch eine vertraute Verbindung auf menschlicher Ebene entstehen kann. Zurzeit sind 60 aktive Pat*innenschaften Teil des Programms und es entstehen jährlich 20 bis 30 neue. Die Dauer einer Pat*innenschaft kann sehr unterschiedlich sein – manche enden nach einigen Monaten, aus anderen hingegen entwickeln sich Freund*innenschaften, die über Jahre hinweg bestehen bleiben.
Unterstützung auch auf dem Weg in einen Beruf
Um den Mentees die bestmögliche Unterstützung zu bieten, arbeitet MILES und das Mentor*innenprogramm auch in Kooperation mit anderen Organisationen, die sich explizit der Zielgruppe queerer Geflüchteter verschrieben haben. Im Bereich der Einführung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt etwa gibt es seit diesem Jahr den neuen Projektpartner TENT.org. Mit Unterstützung dieses Netzwerks von Großunternehmen bekommen Mentees des LSVD Berlin-Brandenburg Zugang zu professioneller und ebenfalls individueller Hilfe bei der Suche nach passenden Arbeitsfeldern und der Vorbereitung auf die jeweiligen Vorstellungsgespräche.
Ebenso wichtig wie die ökonomische Teilhabe in einer neuen Umgebung ist der Wunsch nach einer repräsentativen Gemeinschaft und einem Schutzraum, in dem Mensch sich „frei“ bewegen und austauschen kann. Erst vor wenigen Monaten erreichte das Mentor*innenprogramm ein Hilfeersuch aus der Türkei. Eine junge lesbische Frau, geboren und aufgewachsen in Deutschland, fürchtet zunehmend die Gefahr einer baldigen Zwangsverheiratung mit einem ihr fremden Mann und beginnt die Flucht nach Berlin zu planen.
In der Not und auf der Suche nach Unterstützung stößt sie im Internet auf die Angebote von MILES. Obwohl das Projekt nur im Raum Berlin Brandenburg agieren kann, bleibt es die Ansprechstelle für die junge Frau. Jede Woche ein neues Update, darunter positive wie auch negative Entwicklungen. Dann ist es so weit: der Flug ist gebucht, Wohnmöglichkeit und Arbeitsplatz stehen bereit. Das Ausharren hat ein Ende. In Berlin angekommen ist die Freude auf beiden Seiten groß. Denn nun braucht sie vorerst nicht mehr täglich mit der Sorge zu leben, ihre Identität vor Familie und Gesellschaft verstecken zu müssen.
Lucina Akintaya
(Pronomen: sie/ihr)
Projektleiterin Mentor*innenprogramm
Zentrum für Migrant*innen, Lesben und Schwule
Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin Brandenburg (BLSB) e.V.
Internet: https://berlin.lsvd.de
Hinweis: Gastbeiträge sind Beiträge von Personen, die keine Mitarbeitenden von ARRIVO BERLIN sind. Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Erfahrungen der Autor:innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der ARRIVO BERLIN Redaktion. In Gastbeiträgen übernehmen wir zudem die Genderschreibweise der Autor:innen.