
Blick in ein düsteres Zukunftsszenario
Was sind die Folgen für Klima, Mensch und Wirtschaft wenn die Erde sich um drei Grad erwärmt? Und welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Erhitzung zu reduzieren und das Klima insgesamt zu stabilisieren? Der Aufsatzband “3 Grad mehr: Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern” nimmt diese Fragen multiperspektivisch und lösungsorientiert in den Blick. Fachkräftesicherung als zentrale Maßnahme bleibt dabei jedoch außen vor. Eine Rezension.

Im Buch vom Herausgeber Klaus Wiegandt fokussieren Expert:innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen die prognostizierten Effekte einer weltweiten „Heißzeit“. Regional und je nach lokalen Gegebenheiten können diese schneller und mit größerer Wucht eintreten. Deutschland zeige derzeit schon eine Erwärmung um mehr als 2 Grad und könne sich künftig auf ein Plus von 6 Grad vorbereiten, da Landgebiete in der Regel doppelt so heiß werden als der globale Mittelwert, heißt es darin.
Bestandsaufnahme: Kaskaden von Kippunkten und wirtschaftlichen Schäden
Eine „Kaskade von Kippunkten“ natürlicher Teilsysteme droht uns zukünftig, schreibt Stefan Rahmstorf, die sich „wie Dominosteine gegenseitig auslösen”. Schmilzt das Teilsystem Arktisches Meereseis zunehmend weg, verändere dies systematisch andere Teilsysteme, wie etwa den Golfstrom. Verändert beziehungsweise verlangsamt der Golfstrom sich substanziell, führe das wiederum zu Extremwetter und zu tiefgreifenden, mehr oder weniger abrupten und andauernden Veränderungen von Ökosystemen.
Nichts weniger als ein ökologischer „Regimewechsel“, wie Bernhard Kegel es in seinem Aufsatz bezeichnet, steht uns bevor: Das Verschwinden der Wälder durch Trockenheit und Brände, das Massensterben von einheimischen Tieren auf dem Land und im Wasser, die stark reduzierte Biodiversität und die Zuwanderung wärmeliebender Arten und Schädlinge.
Dieser „Regimewechsel“ und Extremwetter setzen die Landwirtschaft permanent unter Druck, so beschreibt es der Artikel „Landwirtschaft in einer heißen Welt“. Ihr drohten massive Ernteeinbußen und -ausfälle aufgrund einer zunehmenden Degradierung und schleichenden Unbrauchbarkeit großer Landstreifen – immerhin gelten jetzt schon mehr als die Hälfte der weltweiten Agrarflächen als degradiert. In der Folge werden bis 2050 über 200 Millionen Menschen weltweit migrieren beziehungsweise fliehen müssen, beschreibt der Aufsatz „Flucht vor Hitze, Dürre und Extremwetter“ eindrucksvoll.
Dadurch entstehen wirtschaftliche „Schadenskaskaden“, schreiben Leonie Wenz und Friderike Kuik. Konservativen Schätzungen zufolge werden jährlich fünf Prozent des Bruttosozialprodukts benötigt, um den Herausforderungen des Klimawandels (Schäden, infrastrukturelle Veränderungen, Migration) zu begegnen. Dazu kommen noch hitzebedingte Produktionseinbrüche und Lieferengpässe, die viele Volkswirtschaften permanent belasten werden.
Lösungen: die fehlende Frage der Fachkräftesicherung
Die Grundannahme des lösungsorientierten zweiten Teils des Buchs ist, dass die Restauration der Ökosysteme zur Klimastabilisierung beziehungsweise zur Korrektur der momentanen Klimaentwicklung führen wird. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören die systematische und weltweite Aufforstung, die Wiedervernässigung der Moore und eine möglichst hohe Hummusanreicherung auf Agrarflächen. Der Autor Hans Joachim Sellnhuber unterstreicht außerdem die Bedeutung für die Rückkehr zum Holzbau im Bausektor – immerhin ist das von Stahl und Beton dominierte Bauwesen für rund 40 Prozent der Treibhausgase verantwortlich.
Der Aufruf zum Wandel, insbesondere im Bau, beleuchtet den momentanen und auch künftigen Fachkräftemangel kaum bis gar nicht. Vom wem sollen zum Beispiel die „hölzernen Städte“ unter nie gekannter Dringlichkeit und extremen Wetterbedingungen – Hitzestress und ähnliches – gebaut beziehungsweise umgebaut werden? Auch wenn das Buch sehr gekonnt den Finger auf die Herausforderungen der kommenden Heißzeit legt, hätte etwas mehr realpolitische Ausgewogenheit der Überzeugungskraft der vorgeschlagenen Lösungen sehr geholfen.
Klaus Wiegandt (Hrsg.): 3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern. München 2022