Abbas Khider: Deutsch für alle
Der mehrfach preisgekrönte Romanautor Abbas Khider landete nach seiner Flucht aus dem Irak in Deutschland und konnte sich hier seinen Jugendtraum erfüllen, Schriftsteller zu werden. In seinem ersten Sachbuch „Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch“ schildert Khider seinen Erwerbprozess der deutschen Sprache – selbstironisch und hyperbolisch, humorvoll und ernst zugleich.
Abbas Khider gehört mit fünf Romanen und zahleichen Auszeichnungen mittlerweile zu den etablierten deutschsprachigen Autoren. 2019 wagte er sich zum ersten Mal an ein Sachbuch: „Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch“. Den Textrahmen bildet einen mehr oder weniger ernst gemeinter Rationalisierungs- und Vereinfachungsvorschlag für die deutsche Grammatik. Innerhalb dieses Rahmens lässt der Autor viel Raum für autobiographische, sich mitunter widersprechende Gedanken, Erinnerungsfetzen oder freie Assoziationen.
Frei nach Mark Twains berühmte Zitat „Die deutsche Sprache sollte sanft und ehrfurchtsvoll zu den toten Sprachen abgelegt werden, denn nur die Toten haben Zeit, diese Sprache zu lernen“, benutzt Khider Satire für die Beschreibung der Hürden des Spracherwerbs. Gleichzeitig erzeugt er zahlreiche Untertöne und Momente im Text, mit denen er die Welt der Sprachlernenden hautnah und erkennbar näher bringt. Hier finden Sie einige Schlüsselzitate im O-Ton des Autoren:
Über die Komplexität der deutschen Sprache im Allgemeinen
„Diese Sprache ist nichts weniger als ein Ungeheuer, was ihre Komplexität und Ausdrucksmöglichkeiten angeht. Ich meine damit nicht nur die heimtückischen Artikel, die gefährlichen Deklinationen, auflauernden Verbflexionen und die Stolperfallen der Verbposition, sondern auch den Kasus des Dativs und Genitivs, die unzähligen Pronomen und Präpositionen, die unregelmäßigen und trennbaren Verben, die Umlautbuchstaben und viele andere seltsame sprachliche Eigenheiten.“
Über die Komplexität der deutschen Sprache im Besonderen
„Ein Deutscher weiß ganz genau, dass Frauen wie Anna Seghers, Marilyn Monroe oder Simone de Beauvoir zwar feminin sind, grammatikalisch aber etwas Sächliches werden können, wenn man sie nicht als ‚Frau‘, sondern als ‚Weib‘, ‚Fräulein‘ oder ‚Mädchen‘ ansieht und anspricht. Der Rest der Menschheit muss diese erleuchtende Erkenntnis aber mühsam begreifen lernen und damit zurechtkommen, dass Marilyn Monroe grammatikalisch gesehen nicht feminin sein könnte. Das sächliche Marilyn Monroe. Eine enorme Belastung für alle Gehirnzellen.“
Über die Hürden einen korrekten deutschen Satz zu formulieren
„Wenn ich einen Satz, zum Beispiel über die gegenwärtige politische Situation in Guatemala, in einem Gespräch äußern will, muss ich zuerst entsprechende Wörter und Wendungen aus meinem Gedächtnis abrufen. Das ist die erste Hürde. Gleichzeitig versuche ich in einem zweiten Schritt, meine Gedanken zu sortieren. Deutlich in der Aussprache und inhaltlich mit den richtigen Worten muss man sich ja ausdrücken, um Missverständnisse zu vermeiden. Zugleich muss ich auf der dritten Ebene an bestimmte brenzlige Punkte der deutschen Grammatik denken, an den richtigen Artikel beispielsweise, an die ordnungsgemäße Deklination, an die korrekte Verbflexion, an die genaue Verbposition im Nebensatz. Alle diese Arbeitsschritte finden gleichzeitig statt, bevor überhaupt ein richtiger deutscher Satz aus mir rauskommt.“
Über Sprachenlernen als Daueraufgabe
„Ich bin wie ein kleiner Sprachcomputer, der aufwändige Berechnungen vornehmen und seinen Prozessor, die Festplatte und den Arbeitsspeicher an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit treiben muss, damit ich kommunizieren kann. Seit Jahren funktioniert das alles zwar einwandfrei, aber nur mit großem Kraftaufwand. Und trotz aller Mühe unterlaufen mir noch immer Fehler, Stilblüten oder linguistische Lächerlichkeiten.“
Abbas Khider: Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch. Carl Hanser Verlag, München 2019.