Das Beratungsforum Engagement für Geflüchtete und die Position der Ehrenamtskoordinator:innen in Unterkünften
Als einziges Bundesland in Deutschland hat Berlin die Position der Ehrenamtskoordination in Geflüchtetenunterkünften vertraglich verankert und damit eine entscheidende Voraussetzung für ein professionelles Freiwilligenmanagement in der Integrationsarbeit geschaffen. Das Beratungsforum Engagement (BfE) bietet den Ehrenamtskoordinator:innen fachliche Qualifizierung und Unterstützung im Freiwilligenmanagement vor Ort. Die Projektkoordinatorin des BFE, Julia Finsterwalder, beschreibt in diesem Gastbeitrag Schwierigkeiten und Möglichkeiten, die mit dieser Aufgabe verbunden sind.
Von Gastautorin Julia Finsterwalder
Die Ehrenamtskoordinator:innen nehmen in der Berliner Migrationsgesellschaft eine zentrale Rolle ein: Sie sind die Brückenbauer:innen und Ansprechpartner:innen für Ehrenamtliche, Initiativen, Nachbarschaft und die Bewohner:innen in den Unterkünften für Geflüchtete. Mit ihnen wurde in Berlin ein eigenes Berufsfeld begründet und ist seither von einer dynamischen Entwicklung und zugleich von vielen Herausforderungen geprägt.
Das Beratungsforum Engagement für Geflüchtete begleitet und unterstützt diesen Prozess als zivilgesellschaftlicher Partner der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA) sowie des LAF. Wir informieren, qualifizieren, unterstützen, beraten und vernetzen die Ehrenamtskoordinator:innen in den Unterkünften mit verschiedenen, bedarfsorientierten Angeboten.
Unterstützung für freiwilliges Engagement
Ausgangspunkt war der stete Zuzug von Familien und einzelnen Menschen auf der Flucht, insbesondere aus Krisengebieten wie Syrien, Bosnien, Afghanistan und diversen afrikanischen Staaten im Jahr 2015 und 2016. Damals sind in kurzer Zeit viele neue zivilgesellschaftliche, staatliche und auch verbandliche Hilfsmaßnahmen und -netze entstanden, die meisten beruhten auf freiwilligem Engagement.
Seit November 2016 arbeitet das Beratungsforum, angesiedelt bei der Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V., aufgrund der sich in der Praxis stetig ändernden Situation mit kontinuierlich weiterentwickelten Formaten zur Qualifizierung, Vernetzung und Beratung sowie seit dem Jahr 2021 mit einem professionellen Coaching-Angebot für Ehrenamtskoordinator:innen.
Während der Covid19-Pandemie wurden die Angebote des BfE auf digitale Formate umgestellt oder weiterentwickelt, um die Ehrenamtskoordinator:innen und das Engagement mit und von Geflüchteten auch in dieser besonderen Lage wie gewohnt fachlich zu unterstützen. An den so entstandenen berlinweiten Netzwerktreffen als Online-Veranstaltungen nehmen seitdem Ehrenamtskoordinator:innen, Mitarbeitende von Stadtteilzentren, BENN-Teams, Freiwilligenagenturen, Flüchtlingskoordinator:innen, Projekte und Willkommensbündnisse teil – auch ARRIVO Berlin war bereits eingeladen, eigene Angebote und Projekte vorzustellen.
Qualifizierungsangebote
Neben einer jährlichen Fachkonferenz bietet das BfE die zertifizierte Qualifizierung „Freiwilligenkoordination BfE Basis“ an sowie vertiefende Kurzfortbildungen zu relevanten Themen aus der Arbeit der Ehrenamtskoordinator:innen in den Unterkünften – beispielsweise Leadership, Resilienz, Kommunikation und Qualitätssicherung.
In einer digitalen Mediathek Engagement von und für Geflüchtete(n) dokumentieren wir unsere Arbeitsergebnisse wie Praxishilfen, Leitfäden, Dokumentationen und Berichte. Mit unserer Infomail informieren wir regelmäßig zu aktuellen Inhalten mit Bezug zu Ehrenamt, Flucht und Migration sowie Angeboten unter anderem für Geflüchtete und Ehrenamtliche.
Das Beratungsforum hat weiterhin die Aufgabe, die Arbeit des LAF im Sinne der zivilgesellschaftlichen Ergänzung und Erweiterung für die dringenden Fragen und Lösungen eines produktiven Miteinanders von Freiwilligen und Unterkünften für Geflüchtete, insbesondere die dortigen Ehrenamtskoordinator:innen, zu unterstützen. Dabei hat es sich entsprechend der Weiterentwicklung dieses Berufsfelds zu einer zentralen Fach- und Netzwerkstelle entwickelt.
Entwicklungen in den letzten Jahren aus Perspektive des Beratungsforums
Im Sinne einer agilen Integrationspolitik geht es seit 2017 vor allem um eine Integrations- und Teilhabekultur für Geflüchtete und seit 2018 nimmt das Thema der diversitätsorientierten Öffnung und das Schaffen notwendiger Rahmenbedingungen dafür immer breiteren Raum ein. Seit 2019 ergeben insbesondere die vermehrte Entstehung von Gemeinschaftsunterkünften an den Stadtgrenzen und der Wohnungsmangel in Berlin, der zu einer langen Verweildauer in Unterkünften führt, neue Anforderungen an die Integrationsentwicklung.
Darüber hinaus stellen knappe Ressourcen für die Arbeit mit Freiwilligen hohe Herausforderungen daran, Ehrenamtliche zu gewinnen und professionell zu begleiten. Deutlich verschärft wurde diese Situation seit März 2020 durch die Covid19-Pandemie. Während der Zugang zur (online)-Teilhabe für viele Bewohner:innen in den Unterkünften deutlich erschwert war, entstand für die Ehrenamtskoordinator:innen mit dem digitalen Feld ein weiterer Aufgabenbereich. Nicht nur die Frage um Teilhabe Geflüchteter, auch die Förderung von Ehrenamt von Geflüchteten selbst ist ein zentraleres Thema geworden.
Themen der Ehrenamtskoordinator:innen
Weiterhin verschärft wurde die Situation zuletzt durch die Ankunft der Geflüchteten aus der Ukraine. Neben einem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt sorgten zusätzlich Sparmaßnahmen, Inflation und Verdichtungsmaßnahmen für weitere Anspannung und Herausforderungen für Ehrenamtskoordinator:innen – in der täglichen Arbeit aber auch in Bezug auf das Thema Integration und Teilhabe.
Seit Mitte 2020 gibt es sehr viele Betreiberwechsel, Schließungen und Eröffnungen sowie Verdichtungsmaßnahmen. Besonderen Beratungsbedarf und erhöhter Druck für die Ehrenamtskoordinator:innen ergibt sich dabei zusätzlich durch Personalmangel in den Unterkünften und die insgesamt angespannte Situation.
Die Zahl der Ehrenamtlichen und deren Einbindung ist dabei stark abhängig von der Lage der jeweiligen Unterkunft. In den letzten Jahren gab es viele gesellschaftliche Herausforderungen und Veränderungen. Dabei hat sich die ohnehin unsichere und sehr volatile Situation seither verschärft: die Zielgruppen sind weiterhin mehr geworden, die Situation ist disparat. In vielerlei Hinsicht gibt es keine Kontinuität und Entwicklungen sind nicht vorherzusehen. Es zeigte und zeigt sich seitdem stets erneut die Bedeutung und Wichtigkeit des Ehrenamts und der Rolle der Ehrenamtskoordination.
Wie die Ehrenamtskoordinator:innen in ihrer Arbeit vor Ort, hat auch das BfE die letzten Jahre eine Brückenfunktion wahrgenommen, viele (Praxis-)Erfahrungen gesammelt und ist seit Beginn nah an den Themen, Bedarfen und Herausforderungen der Ehrenamtskoordinator:innen und damit auch an den Themen von Ehrenamtlichen sowie Geflüchteten. Es arbeitet aus der beschriebenen dauerhaften Krisensituation heraus und gibt eine Kontinuität in einem sich stets verändernden Umfeld. Als Schulterschluss von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und durch die enge Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteur:innen, ermöglicht das BfE den Ehrenamtskoordinator:innen und somit auch den Unterkünften im Status der Dauerkrise handlungsfähig zu bleiben und den diversen Herausforderungen zu begegnen.
Hinweis: Gastbeiträge sind Beiträge von Personen, die keine Mitarbeitenden von ARRIVO BERLIN sind. Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Erfahrungen der Autor:innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der ARRIVO BERLIN Redaktion.