Warum Diversität glücklich und wirtschaftlich erfolgreich macht
Spätestens seit dem „Sommer der Flucht“ im Jahr 2015 ist der Terminus „Diversity“ im deutschsprachigen Raum in aller Munde. Seitdem wurden auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zahlreiche Chancen in Sachen Diversität und Vielfalt erkannt. Auch bei der Ausbildungsinitiative ARRIVO BERLIN werden die Möglichkeiten der Diversität aktiv gefördert.
Diverses Deutschland
Mit dem Anstieg von ethnischer, religiöser und kultureller Vielfalt hierzulande geht auch eine Zunahme von sprachlicher Vielfalt einher, die sich in ganz besonderer Form auf das Miteinander-Kommunizieren im privaten sowie beruflichen Kontext auswirkt. Das ist kein neues Phänomen: In Deutschland herrschte spätestens seit der Industrialisierung eine gelebte Mehrsprachigkeit (Hinnenkamp 1998).
Verhältnismäßig neu ist, dass Multilingualität zunehmend in der Ausbildung und im Arbeitsalltag mitgedacht wird. Neue Formen der Kommunikation werden ausgearbeitet und erprobt, neue Methoden des Spracherwerbs ausformuliert (wie das Integrierte Fach- Und Sprachenlernen, kurz: IFSL, bei ARRIVO BERLIN). Dieses Mehrangebot kann auch Menschen zugutekommen, die mit der deutschen Sprache sozialisiert wurden: Wenn Mehrsprachigkeit als Chance anerkannt wird, ist das wirtschaftliche Potenzial dieser Entwicklung enorm, so auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, welches Sprachenvielfalt in Form unterschiedlichster Projekte längst als Chance und Ressource anerkennt (BMBF 2015).
Menschen unterscheiden sich nicht nur mit Blick auf ihre Herkunft. Sie unterscheiden sich in ihrer Wohnsituation, ihrer Weltanschauung, ihrem Gender, ihrer Lebensrealität, ihrem Status, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung, in Bezug auf Gesundheit und vieles mehr (Gardenswartz & Rowe 1994). Somit ist Vielfalt nicht nur mit Blick auf Migration zu betrachten, sondern ist einer Gesellschaft an sich inhärent.
Der Diversity-Ansatz versucht diese gelebte Vielfalt produktiv in den Blick zu nehmen. Er geht dabei von der Stärke und dem Vielfalt aller Beteiligten aus, die im Idealfall zu einer „Win-win- Situation“ führt. „Diversity orientiert sich nicht an Defiziten oder versucht Lösungen für vermeintliche Probleme aufzuzeigen. Vielmehr geht es bei Diversity darum, die vielfältigen Leistungen und Erfahrungen von Menschen zu erkennen und sie als Potenzial zu begreifen und zu nutzen“, so der Diversitätsansatz der Hochschule München.
Das Vielfaltsbarometer: Zusammenhalt durch Diversity
Warum Vielfalt für Menschen und Betriebe so bedeutsam sein kann, untersuchte die Robert Bosch Stiftung. Sie führte zum Thema gesellschaftliche Vielfalt und Zusammenhalt eine Befragung mit rund 3.000 Personen durch (Robert Bosch Stiftung 2019). Dieses Vielfaltsbarometer gibt Aufschluss über den Grad der Akzeptanz von Vielfalt auf Bundes- und Länderebene und stellt diesen in Bezug zum Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das Ergebnis: Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird von der Stiftung als positiv wirkender Faktor auf das Gemeinwohl bewertet, welcher sich wiederum auf das subjektive Wohlbefinden und sogar auf die objektive Gesundheit einer Gesellschaft auswirkt. Akzeptanz von Vielfalt wirkt dabei als eine Dimension, die das Potenzial in sich trägt, Menschen in ihrer allgemeinen Zufriedenheit zu stärken.
Hohe Akzeptanz von Vielfalt in Berlin
Ein weiteres Ergebnis mit Blick auf die sieben betrachteten Dimensionen von Vielfalt (Lebensalter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, Religion und sozioökonomische Schwäche) ist, dass die Akzeptanz von Vielfalt in Berlin (neben Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein) im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ hoch ist. Das Vielfaltsbarometer zeigt, dass es einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen der Akzeptanz von Vielfalt und dem Anteil von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft gibt. Ebenso geht mit einem höheren Anteil von Zuwanderung, eine höhere wirtschaftliche Prosperität einher. Diese wiederum stärkt die Akzeptanz von Vielfalt. Kurzum: „Dort, wo mehr Migranten und Migrantinnen leben, ist die Akzeptanz von Diversität stärker ausgeprägt“.
Die Studie geht sogar noch einen Schritt weiter und formuliert vorsichtig: „Die Akzeptanz von Vielfalt macht glücklich“, gemessen an der Korrelation von Suizidrate, subjektivem Wohlbefinden und Akzeptanz von Vielfalt.
Diversity auf dem Arbeitsmarkt – Talentsuche ausbreiten, marktgerechte Ergebnisse erzielen
Die Studie der Robert Bosch Stiftung gibt ebenfalls einen kleinen Ausblick darauf, wie Akzeptanz von Vielfalt gefördert werden kann und benennt dabei unter anderem Punkte wie „gemeinsame Treffpunkte“, „bessere Durchmischung“, „verschiedene Gruppen/Menschen zusammen bringen“, „Integration und Inklusion fördern“.
Der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt kann dabei eine Begegnungsstätte sein. Dort begegnen wir vielfältigen Aufgaben, Methoden und Leistungsanforderungen. Dort werden neue Rollen eingenommen, wie Pieter Hennipmann von ARRIVO BERLIN Gesundheit aus der gelebten Praxis mit geflüchteten Menschen hervorhebt: „Im (Gesundheits-)berufsleben wechseln Geflüchtete automatisch ihre Rolle von ‚Menschen, die Hilfe brauchen‘ zu ‚Menschen, die Hilfe geben‘. Durch die Arbeit haben Geflüchtete die Möglichkeit, sich selbst als Teil der Gesellschaft zu begreifen, zu der sie ihren Beitrag leisten.“ (Vollständiges Interview siehe hier).
Diversität spielt auch vor dem Hintergrund von Digitalisierungsprozessen und dem Fachkräftemangel eine Rolle. Die Anforderungen in der Arbeitswelt unterliegen einem kontinuierlichen Wandel, welcher derzeit geprägt ist von der Digitalisierung. Diese stellt nicht nur eine technische, sondern auch eine demografische sowie gesellschaftliche Veränderung dar.
Durch Digitalisierung verändern sich Arbeitsprozesse und Arbeitsstrukturen, aber auch potenziell Belegschaften. Tools, die ein ort- und zeitunabhängiges Arbeiten ermöglichen, können zu mehr Flexibilität, Integration und Inklusion führen. Digitalisierung kann somit den Pool an potenziellen Mitarbeitenden vergrößern. Daher ist es für Betriebe und Unternehmen wichtig, Menschen mit diversen Background anzusprechen, wie es etwa die Initiative Charta der Vielfalt e.V. unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel fördert.
Innovationskraft und zirkulierender Wissenstransfer
Der Fachkräftemangel hat Deutschland in manchen Wirtschaftszweigen erreicht und Stellen bleiben dadurch unbesetzt. Dies bedeutet für Betriebe ganz konkret, dass sie ihre Talentsuche ausweiten müssen. Durch die Einstellung internationaler Mitarbeitender, Mitarbeitender mit Behinderung, Mitarbeitender unterschiedlichen Alters und so weiter, kann ein zirkulierender Wissenstransfer mit unterschiedlichen Perspektiven hergestellt und dem Fachkräftemangel begegnet werden.
Durch diverse Persönlichkeiten, die ihre fachlichen und sozialen Kompetenzen optimal in ein Team einbringen, können außerdem innovative Wege und potenziell neue Märkte beschritten werden.Gesellschaftliche Veränderungen betreffen längst die Arbeitswelt. Mit welcher Unternehmenskultur und welchem Wertesystem ein Betrieb wirbt, ist nicht länger eine Nebensächlichkeit. Durch Offenheit im Betrieb werden unterschiedliche Menschen angesprochen.
Einer Heterogenität an Personal ist wiederum eine Originalität und Innovationskraft inhärent, die im Diversity-Ansatz als Ressource gesehen wird und wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt. Eine diverse Mitarbeiterschaft zur Verfügung zu haben, bedeutet als Unternehmen unterschiedlichen Anforderungen auf einem lokalen, regionalen oder gar internationalen Umfeld gerecht zu werden.
Diversity bei ARRIVO BERLIN
Das Vielfaltsbarometer der Robert Bosch Stiftung kommt zu dem Schluss, dass die Akzeptanz von Vielfalt im Kontakt mit heterogenen Gruppen gestärkt werden kann. So formuliert eine Studienteilnehmerin: „Was man kennt, fürchtet man nicht“. ARRIVO BERLIN bietet genau diesen Austausch, in dem Menschen mit Fluchthintergrund und Betriebe zusammengebracht werden. ARRIVO BERLIN fördert somit die Chancengleichheit und den Abbau von Diskriminierung. Durch individuelle Unterstützungsangebote für Betriebe und Geflüchtete trägt der Projektverbund dazu bei, den Berliner Arbeits- und Ausbildungsmarkt vielfältiger zu gestalten.
ARRIVO BERLIN erkennt Diversität als vorhandene Ressource an und nutzt diese aktiv. Susanne Neumann von ARRIVO BERLIN Wege zum Berufsabschluss stellt in einem Interview exemplarisch diesen Punkt klar: „Die grundlegende Selbstverständlichkeit, einer Person nur in ihrer Individualität gerecht werden zu können, macht auch im Falle der geflüchteten Menschen keine Ausnahme.“ (Vollständiges Interview siehe hier).
Literaturhinweise:
- Hinnenkamp, Volker (1998): Mehrsprachigkeit in Deutschland und deutsche Mehrsprachigkeit. Szenarien einer migrationsbedingten Nischenkultur der Mehrsprachigkeit. In: Kämper, Heidrun / Schmidt, Hartmut (Hrsg.): Das 20. Jahrhundert. Sprachgeschichte – Zeitgeschichte. Berlin: De Gruyter, S. 137-162. Internet: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110622638-009/html
- Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2015): Sprachenvielfalt – Ressourcen und Chancen. Forschungsprojekte zu sprachlicher Bildung und Mehrsprachigkeit. Bielefeld: Bertelsmann Verlag. Internet: https://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/media/content/Sprachenvielfalt_Ressource_und_Chance%20_Forschungsprojekte_zu_sprachlicher_Bildung_und_Mehrsprachigkeit.pdf
- Gardenswartz & Rowe (1994): The Four Layers of Diversity. Internet: https://www.gardenswartzrowe.com/why-g-r
- Robert Bosch Stiftung (Hg.); Arant, Regina / Dragolov, Georgi / Gernig, Björn / Boehnke, Klaus (2019): Zusammenhalt in Vielfalt. Das Vielfaltsbarometer 2019 der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart. Internet: https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2019-03/Vielfaltsbarometer%202019_Studie%20Zusammenhalt%20in%20Vielfalt.pdf
Internetquellen:
- Hochschule München, Diversitätsansatz: https://www.hm.edu/allgemein/hochschule_muenchen/familie_gender/diversity/definition.de.html
- Charta der Vielfalt e.V.: https://www.charta-der-vielfalt.de/fuer-arbeitgebende/arbeitswelt-im-wandel/
- IQ Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch: Integrierter Fach- und Spracherwerb (IFSL): https://www.deutsch-am-arbeitsplatz.de/integriertes-fach-und-sprachlernen/integriertes-fach-und-sprachlernen.html
- Manoi, Lorenzo: Integriertes Fach- und Sprachenlernen Bei ARRIVO BERLIN: https://www.arrivo-berlin.de/presse/detailseite/integriertes-fach-und-sprachenlernen-bei-arrivo-berlin
- Statistisches Bundesamt: Bevölkerung – Migration und Integration: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/_inhalt.html
(Hinweis: Alle Links wurden am 09.02.2021 abgerufen)