Beschäftigte mit Fluchtgeschichte fördern die Vielfalt
Damit Menschen mit Fluchtgeschichte erfolgreich beschäftigt oder ausgebildet werden, ist in der Regel viel Unterstützung für die Geflüchteten und die Betriebe notwendig. Eine Möglichkeit, den Herausforderungen zu begegnen, sind Sensibilisierungstrainings für Vielfalt. Ein sensibler Umgang mit Vielfalt trägt dabei nicht nur zu einer gelungenen Integration der neuen Mitarbeiter:innen in dem Betrieb bei, sondern kann allen Menschen zugutekommen, die am Arbeitsplatz zusammenkommen.
Gastbeitrag von Jurek Hentschel
Die Beschäftigung und Ausbildung von Menschen mit Fluchterfahrung sind für immer mehr Berliner Betriebe gelebte Realität. Geflüchtete und Unternehmen können mittlerweile auf eine breite Unterstützungsstruktur zählen, die der Integration in den Arbeitsmarkt zugutekommt. Ging es vor einigen Jahren noch vornehmlich darum, Geflüchtete in Arbeit und Ausbildung zu vermitteln, hat sich der Fokus im Laufe der Zeit mehr dahin verschoben, wie die Herausforderungen nach einer erfolgreichen Vermittlung gemeistert werden können.
Vielen Akteur:innen wurde in den vergangenen Jahren deutlich, dass eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt viel Unterstützung und Begleitung sowohl der Geflüchteten als auch der Betriebe benötigt. Die Teilprojekte von ARRIVO BERLIN widmen sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten schon seit langem dieser Unterstützung – vor allem auf Seiten der Geflüchteten und insbesondere durch das ARRIVO BERLIN Servicebüro für Unternehmen auch auf Seiten der Betriebe.
Dabei geht es häufig um rechtliche Rahmenbedingungen, Fördermöglichkeiten und vor allem bei der Ausbildung auch um ganz praktische Unterstützung in Bezug auf den Deutscherwerb und die Herausforderungen in der Berufsschule. Doch damit ist es noch nicht getan. Über rechtliche und praktische Unterstützung sowie die finanzielle Förderung hinaus, zeigen sich häufig weitere Herausforderungen.
Nicht erst reagieren, wenn es zu spät ist
Im konkreten Zusammen- und Miteinander-Arbeiten, was immer auch ein Zusammen-Leben bedeutet, prallen mitunter unterschiedliche Gewohnheiten, Prägungen, Verhaltensweisen, Problemlösungsstrategien und Gesprächskulturen aufeinander, was zu Konflikten führen kann. Wenn diese Konflikte nicht achtsam begleitet werden und erst dann reagiert wird, wenn es zu spät ist, hat dies häufig Rückzug, Verstummen, Verletzungen, Wut und Ärger bei den Beteiligten zur Folge, was letztlich auch ein Grund für den Abbruch vieler Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse ist.
An den offen zutage tretenden sowie im Verborgenen ablaufenden Konflikten sind maßgeblich auch eigene Prägungen, Vorstellungen und Einstellungen darüber beteiligt, was als „normal“ angesehen wird und was nicht. Stereotype, Vorurteile und unbewusste Voreingenommenheiten (Unconscious Biases) tragen oft zu Missverständnissen, Ungleichbehandlungen, Ablehnungen, negativen Bewertungen, offenen Diskriminierungen, Wut, Trauer, Ohnmacht oder gar zu verbaler und körperlicher Gewalt bei.
In der Beratungspraxis zeigt sich, dass häufig die Geschäftsführung zur Beschäftigung und Ausbildung von Geflüchteten bereit ist und diese aktiv fördert – allein schon, um dem steigenden Bedarf nach Arbeits- und Fachkräften zu begegnen.
Damit die Beschäftigung und Ausbildung von Geflüchteten gelingen, sollten jedoch alle Mitarbeiter:innen beteiligt sein. Mangelnde Unterstützung seitens der Kolleg:innen, passiver oder gar aktiver Widerstand führen zu Konflikten, die oft damit enden, dass die neuen Mitarbeiter:innen das Unternehmen verlassen.
Reduzierung auf das Merkmal Herkunft vermeiden
Ein Ansatz, um Mitarbeiter:innen auf möglichst allen Unternehmensebenen auf die Beschäftigung von Geflüchteten vorzubereiten und die neuen Arbeitsverhältnisse wirksam zu begleiten, sind Workshops und Schulungen zur Sensibilisierung für Vielfalt. Dabei bietet es sich an, über die Vielfalts-Dimensionen ethnische und kulturelle Herkunft hinauszugehen und einen breiteren Diversity-Ansatz zu wählen. Um eine diversitätssensible Grundhaltung aller Beschäftigten zu fördern, können auch die weiteren Dimensionen Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung sowie die soziale Herkunft behandelt werden.
Damit wird der Überschneidung verschiedener Merkmale in einer Person begegnet und die Reduzierung von Geflüchteten auf ein Merkmal (Herkunft) vermieden. Darüber hinaus kann so die Beschäftigung von Geflüchteten als Anlass genommen werden, auch allgemein einen produktiven, nachhaltigen und letztlich auch gewinnbringenden Umgang mit Vielfalt in all seinen Dimensionen im Unternehmen zu fördern. Ein im Betrieb erprobter Umgang mit Vielfalt kommt betrieblichen Integrationsprozessen allgemein zugute, was nicht nur das Zusammen-Arbeiten mit Menschen mit Fluchtgeschichte, sondern auch mit allen Mitarbeiter:innen in ihrer Diversität erleichtert.
Auseinandersetzung mit eigenen Prägungen
Eine Auseinandersetzung mit eigenen Prägungen, Sichtweisen, Werten und Bewertungen, mit eigenen bewussten und unbewussten Vorurteilen, mit dem eigenen „Anders-Sein“ und der Wahrnehmung des:der „Anderen“ kann dabei der Beginn einer persönlichen Reise zu einem ehrlicheren und achtsameren Umgang mit Diversität darstellen. Unbewusste Denk-, Gefühls- und Bewertungsmuster können nach und nach ins Bewusstsein geholt und ein anderer Umgang damit erlernt werden.
Eine Sensibilisierung der Mitarbeiter:innen für Vielfalt am Arbeitsplatz kann auch als Impuls dienen, einen Diversity-Management-Prozess einzuführen, um das Unternehmen in allen Bereichen offener und diverser zu gestalten und für Menschen in ihrer Vielfalt attraktiver zu machen.
Sich den Herausforderungen des Umgangs mit Vielfalt auch auf der persönlichen Ebene der Mitarbeiter:innen offen und achtsam zu stellen, kann dazu beitragen, Diversität wirklich zu leben und ein wertschätzendes Arbeitsklima für alle aufzubauen. Damit ist nicht nur den neuen Mitarbeiter:innen mit Fluchtgeschichte in ihrer Vielfalt geholfen, sondern allen, die am Arbeitsplatz zusammen arbeiten und leben.
Jurek Hentschel war von 2016 bis 2021 als Betriebsberater für die Beschäftigung von Geflüchteten unter anderem im ARRIVO BERLIN Servicebüro für Unternehmen tätig. Er arbeitet als Trainer für Diversity und Inklusion und Berater für Diversity-Management im Team von living diversity (www.living-diversity.de). Das Berliner Beratungsunternehmen unterstützt seit 2007 Betriebe, Organisationen, Verwaltungen und Universitäten darin, ein Bewusstsein für die Vorteile von Vielfalt (Diversity) zu schaffen. In der Fachstelle Querschnittsthemen im ESF Plus (www.faqt-esf.de) arbeitet er zu den Themen Gleichstellung, Antidiskriminierung und Ökologische Nachhaltigkeit.
Hinweis: Gastbeiträge sind Beiträge von Personen, die keine Mitarbeitenden von ARRIVO BERLIN sind. Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Erfahrungen der Autor:innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der ARRIVO BERLIN Redaktion.