Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf den Ausbildungsmarkt und die Ausbildungsinitiative
Trotz einer angespannten Wirtschafts- und Ausbildungslage blieb ARRIVO BERLIN in den vergangen beiden Covid-19-Jahren weiterhin auf Kurs. Dennoch haben sich die Corona-Schutzmaßnahmen stark auf die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten im Allgemeinen und auf die Arbeit der Ausbildungsinitiative im Besonderen ausgewirkt. Eine Rückschau.
Als 2017 die Ausbildungsinitiative weitgehend ihre jetzige Beratungs- und Verbundstruktur mit zehn Teilprojekten fand, schätzte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in seiner damaligen Dezember-Pressemitteilung die Lage am Arbeitsmarkt optimistisch ein. Denn die Erwerbstätigkeit wuchs und eine „anhaltend hohe Nachfrage nach Arbeitskräften in weiten Teilen der Wirtschaft“ wurde rückblickend auf das Jahr betont.
Die Anzahl Geflüchteter, die in Berlin eine duale Ausbildung absolvierten, war 2019 fast 13 Mal so hoch wie im Jahr 2015, so das Arbeitsmarkttelegramm vom August 2020 der Bundesagentur für Arbeit Berlin Brandenburg (BA-BB). 2019 machte in Berlin jeder fünfte Azubi mit Fluchthintergrund eine Ausbildung im Gesundheits- und Sozialwesen, jeder siebte eine im Handel und jeder achte eine im Bau- oder Verarbeitenden Gewerbe.
Wirtschaft und Betriebe unter Druck
Dann kam die Covid-19 Pandemie und löste eine „zurückhaltende“ Nachfrage nach Arbeitskräften aus, so das BMWK in seiner Rückschau auf die Jahre 2020 und 2021. Auch wenn die Prognose für das kommende Jahr durchaus optimistischer ausfällt, mahnt das Ministerium dennoch zu Vorsicht: „Die deutsche Wirtschaft bereitet sich auf einen harten Corona-Winter vor“.
Auf dem Ausbildungsmarkt befand sich die Zahl der Neuverträge in den vergangenen Corona-Jahren „auf einem historischen Tiefstand“ laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) Mitte 2021. Es wurden 9,3 Prozent weniger neue Ausbildungsverträge als im Vor-Corona-Jahr 2019 abgeschlossen, insbesondere das Hotel- und Gaststättengewerbe sei hier betroffen. Sowohl die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen als auch das Angebot gegenüber dem Vorjahr sei um jeweils fast neun Prozent zurückgegangen.
Licht und Schatten für Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt
Die Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen auf die Arbeitsmarktsituation für Geflüchtete sei nicht einfach zu beziffern, betont Professor Matthias Knuth mehrmals in seinem aktuellen Bericht „Der Corona-Effekt – Was wissen wir über die Arbeitsmarktsituation von Migrant_innen und Geflüchteten in der Pandemie?“ (Januar 2022). Anhand der verfügbaren Zahlen kommt er zu dem Schluss, dass es Licht und Schatten gibt in Bezug auf die Erwerbstätigkeit geflüchteter Menschen.
Geflüchtete „sind mit Beginn der Pandemie zunächst stärker vom Beschäftigungsrückgang betroffen als Deutsche oder Drittstaatsangehörige, die nicht dem Fluchtkontext zuzurechnen sind“, so Knuth. Andererseits betont der Arbeitsmarktspezialist, dass sich dieses Verhältnis ab den Sommer/Herbst 2020 umkehrte: „Die Erholung fällt für Geflüchtete stärker aus als für Deutsche oder andere Drittstaatsangehörige und für geflüchtete Frauen stärker als für geflüchtete Männer.“
Regelangebote unter Druck
Zur Schattenseite gehören, so Knuth, auch die ausgefallenen Regelangebote. Insbesondere die Integrations- bzw. Berufssprachkurse hebt er hervor: “In den Monaten April und Mai 2020 gab es nahezu keine Neueintritte in solche Kurse. Auch im Winter 2020/2021 lagen die Neueintrittszahlen deutlich niedriger als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres. Bis Mitte 2021 wurde das Niveau des Jahres 2019 nicht wieder erreicht.“ Der Rückgang sei potenziell auch darauf zurückzuführen, so Knuth, dass „der Bedarf zurückgeht“ da die Zuwanderung insgesamt abgenommen hat.
Den Effekt der unsystematisch weitergeführten Sprachkurse schildert Knuth anhand einer Zusatzbefragung geflüchteter Personen im Rahmen der langjährigen IAB-BAMF-SOEP-Studie derselben Gruppe: „43 Prozent der Befragten berichteten von einer Verschlechterung ihrer Deutschkenntnisse aufgrund des Wegfalls der Kurse und der allgemeinen Einschränkung von Kontaktmöglichkeiten.“
Digitalisierung als Chance und Herausforderung
Die initiale Antwort auf die Covid-19-Maßnahmen war die systematische Digitalisierung der Angebote. Auch bei ARRIVO BERLIN war das der Fall, wo digitale Sprachkurse, Beratungen und Austausch mit Erfolg etabliert wurden. Bei manchen Teilprojekten konnten dank der rapiden Digitalisierung mehr Teilnehmende angesprochen und ins Projekt aufgenommen werden.
Doch Digitalisierung stellt für Geflüchtete auch eine Herausforderung dar. Die von uns beobachteten mangelhaften Zugangsmöglichkeiten und technischen Ausstattungen beschreibt Professor Knuth in seinem Bericht mehr als akkurat, in dem er auf die „fehlende Verfügung […] geeignete[r] Endgeräte und schwache oder fehlende Internetverbindungen insbesondere in Sammelunterkünften“ hinweist.
2021 bei ARRIVO BERLIN
Eine zurückhaltende Wirtschaft, ein Rückgang der Ausbildungsplätze, Regelangebote, die ausfallen: all das hinterließ Spuren in der Arbeit von ARRIVO BERLIN, die eng mit diesen Elementen der Arbeitsmarktintegration zusammenhängt. Die Betriebe boten weniger Praktika an, schafften zögerlicher Ausbildungs- und Arbeitsstellen, das Sprachniveau der Teilnehmenden war weniger gut als in den Jahren vor Corona.
„Die Pandemiesituation hat das Matching von Bewerber:innen und Ausbildungsstellen empfindlich gestört“, stellt Knuth fest. Das zeigt sich auch in den Zahlen von ARRIVO BERIN. Insgesamt gingen die Zahl der Teilnehmenden und die der Vermittlungen im Vergleich zu den Prä-Corona-Jahren deutlich zurück (siehe Grafik). Dennoch waren die Plätze in den Projekten, ähnlich wie in den vorpandemischen Jahren, gut belegt. Das lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass die Teilnehmenden und Betriebe durch die eingeschränkte Verfügung entscheidender Regelinstrumente und ehrenamtlicher Kooperationen sowie von Verwaltungsdiensten mehr, intensivere und längere Unterstützung von den Mitarbeiter:innen der Teilprojekte brauchten.
Einiges konnte digital aufgefangen aber selten gänzlich von Präsenzangeboten ersetzt werden. Arbeitsmarktintegration ist auch ein Zusammenspiel vieler Akteure und Angebote, die ineinandergreifen. Wenn es gleich an mehreren Stellen hakt, stottert irgendwann der ganze Prozess, wie wir bei ARRIVO BERLIN exemplarisch in den vergangenen Jahren feststellen konnten.
Literatur:
Matthias Knuth: Der Corona-Effekt. Was wissen wir über die Arbeitsmarktsituation von Migrant_innen und Geflüchteten in der Pandemie? Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg., FES diskurs) (01/2022). Online abrufbar unter: https://www.fes.de/themenportal-flucht-migration-integration/artikelseite-flucht-migration-integration/der-corona-effekt
Weitere benutzte Quellen:
Bundesagentur für Arbeit:
https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-bb/download/1533742640757.pdf
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz:
https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/Wirtschaftliche-Lage/2021/20211215-die-wirtschaftliche-lage-in-deutschland-im-dezember-2021.html
Statistisches Bundesamt:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/08/PD21_379_212.html