Charité unterstützt geflüchtete Frauen in Berlin
Frauen haben andere Bedürfnisse hinsichtlich der Gesundheitsversorgung als Männer. Auch geflüchtete Frauen unterscheiden sich in diesem Punkt von geflüchteten Männern. In Deutschland werden geflüchtete Frauen aber immer wieder mit situativen und kulturellen Barrieren beim Zugang zu medizinischer Versorgung konfrontiert. Um dies zu ändern hat die Berliner Charité das Projekt „Women for Women“ (W4W) ins Leben gerufen. Ein Eckpfeiler von W4W ist die Vernetzung der Berliner Akteur:innen im Berliner Hilfesystem für geflüchtete Frauen an einem „Runden Tisch“.
Von Agathe Menetrier
Weltweit befinden sich mittlerweile mehr als 108 Millionen Menschen auf der Flucht. Laut UNHCR sind etwa die Hälfte davon Frauen. Zahlreiche Studien zeigen, dass geflüchtete Frauen vielfach durch Gewalterfahrungen, Krieg oder Verfolgung deutlich vorbelastet sind und geschlechtsspezifische Traumatisierungen erfahren haben. Die Sorge um die eigene Gesundheit wird jedoch oft zurück gestellt. Fehlende Kinderbetreuung, Gefühle der Scham, Sprachbarrieren und Übersetzungsprobleme sowie die komplexe deutsche Bürokratie erschweren die Orientierung und Integration in das deutsche Gesundheitssystem.
Das Projekt der Charité
Ein Bericht im Jahre 2015 aus dem Kreis des Brandenburger Vereins Women in Exile and Friends machte auf die spezielle Situation geflüchteter Frauen aufmerksam und zeigte, dass es neue Konzepte brauchte, um die spezifischen Bedürfnisse dieser Gruppe zu decken. Diese Erkenntnisse gaben den Ausschlag zur Gründung der Initiative Charité für geflüchtete Frauen: Women for Women (W4W) im Jahr 2015. Im Dezember 2015 fanden drei erste explorative Gesprächskreise in Gemeinschaftsunterkünften für geflüchtete Menschen im Land Berlin statt. Seitdem haben zwischen 2016 und 2023 mehr als 100 Veranstaltungen in ganz Berlin stattgefunden. Mehr als 1.300 Frauen zwischen 13 und 95 Jahren haben diese besucht.
Zusätzlich zu Gemeinschaftsunterkünften werden Einrichtungen des Programms “BENN – Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften” und Träger von Sprach- und Freizeitkursen kontaktiert. So fanden Gesprächskreise auch in Frauengruppen, Nähkreisen und Sprachkursen statt. Frauen sollten an Orten erreicht werden, die sie ohnehin besuchen. Durch Simultanübersetzung von Muttersprachlerinnen werden Sprachhürden ebenso wie Analphabetismus umgangen. PowerPoint-Präsentationen sowie Hilfsmaterialien bieten niedrigschwelligen Zugang zu den Themen sexuelle Reproduktion, Verhütung und Brustkrebsvorsorge. Darüber hinaus erhalten die Frauen Informationen über das deutsche Gesundheitsversorgungssystem und über Anlaufstellen für die psychosoziale Versorgung von geflüchteten Frauen.
Wir alle sind Frauen – egal woher wir kommen!
– das ist der Startpunkt jeder Veranstaltung. Unabhängig von Alter, Herkunft oder Religion – Frauen weltweit teilen ähnliche körperliche Erfahrungen. Dieses Paradigma des Projektes senkt Hemmschwellen und hilft den Frauen, sich tatsächlich angesprochen zu fühlen.
Dr. Marlene Lee und Dr. Sarah Nasser (beide Gynäkologinnen), Dr. Tam Ta (Psychiaterin) und Dr. Rebekka Löber (Kinderärztin) bilden zurzeit den medizinischen Kern des Projekts und sprechen mit den Teilnehmerinnen über Frauengesundheit und Unfallprävention sowie Erste Hilfe am Kind. Das Angebot der Gesprächskreise bietet den Frauen die Möglichkeit, in einem geschützten Raum in der eigenen Erstsprache über gesundheitliche oder andere Fragestellungen zu sprechen. Das Format ermöglicht es den Teilnehmerinnen, eigene Fragen einzubringen. Im Anschluss an die Veranstaltungen gibt es die Möglichkeit, in vertraulichen Einzelgesprächen individuelle Probleme und Fragestellungen zu erörtern.
Der Runde Tisch für geflüchtete Frauen
Der von W4W monatlich organisierte Runde Tisch für geflüchtete Frauen in Berlin trifft sich in unterschiedlicher Besetzung, um über relevante Themen für geflüchtete Frauen und deren Familien in Berlin zu sprechen. Um einen besseren Überblick über die Versorgungsstruktur geflüchteter Frauen in Berlin zu bekommen, stellen jedes Mal unterschiedliche Referent:innen ihre jeweiligen Projekte und ihre Arbeit vor. Ziel für die teilnehmenden Akteur:innen ist es auch, bei politischen Vertreter:innen für eine bessere Unterstützung von geflüchteten Frauen und ihren Familien zu plädieren.
Das Thema der Krankenversicherung für geflüchtete Personen hat die Teilnehmenden am Runden Tisch besonders bewegt. Leistungsberechtigte nach Asylbewerberleistungsgesetz haben laut einer Vereinbarung des Landes Berlin mit vier Krankenkassen Anspruch auf eine elektronische Gesundheitskarte (eGK). In der Praxis bekommen die geflüchteten Personen die eGK häufig erst nach Monaten und erhalten in der Zwischenzeit eine vorläufige Betreuungsbescheinigung. Die Betreuungsbescheinigung wird in den meisten Fällen von den Arztpraxen abgelehnt. De facto können die geflüchteten Personen ohne eine eGK keine Arzttermine vereinbaren und wahrnehmen.
Ein weiteres wiederkehrendes Thema war die gefühlte Bevorzugung geflüchteter Menschen aus der Ukraine gegenüber geflüchteten Menschen anderer Nationalitäten. Die Rückmeldungen hierzu häuften sich und teilweise ist bei geflüchteten Menschen aus anderen Herkunftsländern der Eindruck eines Zwei-Klassensystems entstanden. Auf diese und andere Themen (wie die Wichtigkeit von Sprachmittlung und Sprachförderung für geflüchtete Frauen) versuchten die Akteur:innen des Runden Tisches für geflüchtete Frauen mithilfe gemeinsam verfasster Positionspapiere aufmerksam zu machen und suchten den direkten Austausch mit dem Senat, wie zuletzt mit Frau Niewiedzial, Beauftragte für Integration und Migration des Senates von Berlin.
Agathe Menetrier ist Projektkoordinatorin von « Women for Women » bei der Berliner Charité.
Wenn Sie gern ein Gesprächskreis in Ihrer Einrichtung organisieren würden, wenden Sie sich an: agathe.menetrier@charite.de
Runder Tisch für geflüchtete Frauen: Mitglied werden und mehr Informationen unter https://rundertisch.lfr-berlin.de/
Quellen:
UNHCR (2023): Global Trends Report: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen
Schouler-Ocak / Kurmeyer (2017): Study on Female Refugees: https://frauenbeauftragte.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/beauftragte/frauenbeauftragte/Projekte/W4W_und_RunderTisch/Study_on_female_refugees_Abschlussbericht1.pdf
Braun / Dinkelaker (2021): Schutz für geflüchtete Frauen* im Spannungsfeld von besonderer Schutzbedürftigkeit und restriktiven Migrationspolitiken: https://www.transcript-open.de/doi/10.14361/9783839454145-004
Women in Exile and Friends e.V.: https://www.women-in-exile.net
BENN – Berlin entwickelt neue Nachbarschaften: https://www.berlin.de/sen/stadtentwicklung/quartiersentwicklung/programme/berlin-entwickelt-neue-nachbarschaften-benn/
Hinweis: Gastbeiträge sind Beiträge von Personen, die keine Mitarbeitenden von ARRIVO BERLIN sind. Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Erfahrungen der Autor:innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der ARRIVO BERLIN Redaktion.