Ein genauer Blick auf die Herausforderungen und das Leben von geflüchteten Frauen in Deutschland
Auf welche genderspezifischen Herausforderungen stoßen geflüchtete Frauen im Prozess des Ankommens in Deutschland? Welche Möglichkeiten erhalten sie, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Welche Hürden ergeben sich bei der Suche nach Bildungs- und Arbeitsangeboten? Und welche Unterstützungen erfahren sie auf ihrem Weg, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen? Ein aktueller Sammelband hat sich mit diesen Fragen beschäftigt.
Die Herausgeberinnen Schahrzad Farrokhzad, Karin Scherschel und Melanie Schmitt veröffentlichten 2022 die Publikation „Geflüchtete Frauen – Analysen – Lebenssituationen – Angebotsstrukturen“. Darin werden die Lebenssituationen von geflüchteten Frauen in Deutschland eingehend erforscht und dabei wesentliche Fragen zu ihren Lebensbedingungen, beruflichen Möglichkeiten, ihrem Schutz vor Gewalt sowie ihren Erfahrungen während der Migration und des Ankommens beschrieben. Das Buch bietet vielfältige Einblicke aus unterschiedlichen Perspektiven.
Der Sammelband behandelt wesentliche Aspekte der Erfahrungen von geflüchteten Frauen. Theoretische Analysen umfassen auch Themen wie Zugang zu beruflicher Qualifizierung sowie Beschäftigungs- und Bildungsmöglichkeiten. Ergänzt werden die Erörterungen durch Einblicke in die alltägliche Arbeit und Herausforderungen von Initiativen und Vereinen, die geflüchtete Frauen unterstützen. Durch biografische Porträts und persönliche Reflexionen erhalten die Leser:innen einen persönlichen Zugang zu den Herausforderungen und Erfahrungen, mit denen Frauen konfrontiert sind, wenn sie sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen.
Ein Beispiel ist die Geschichte von Salwa. Das Porträt beleuchtet ihre Lebensgeschichte, insbesondere die Jahre von 2011 bis heute. Salwa, 40 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, lebte zunächst als Englischlehrerin in ihrem Geburtsland Syrien. Ab 2011 verschlechterte sich ihre Situation aufgrund der zunehmenden Gewalt in dem Land. Besonders schwierig waren die Jahre 2012 und 2013. Ihr Mann arbeitete im Libanon und die Familie erlebte Trennung, Ausgrenzung und Diskriminierung. 2014 beschloss die Familie, nach Europa zu gehen. Salwa studiert im Master Anglistik an einer deutschen Universität und teilt seit 2015 ihre Leidenschaft fürs Schreiben in einem Blog, insbesondere zu den Themen Flucht und Leben in Deutschland. In ihrem Interview schildert sie die Herausforderungen, die ihren Weg begleitet haben, sowie ihre Erfahrungen auf dem Weg zu Ausbildung und Beruf.
Ein weiteres Beispiel ist das Porträt von Fereschteh, die sich während der iranischen Revolution politisch engagierte und gezwungen war, aus dem Iran zu fliehen. In Deutschland baute sie ein neues Leben für sich und ihre Familie auf. Obwohl sie Deutschland als ihre „zweite Heimat“ bezeichnet und hier länger lebt als im Iran, bleibt die Verbindung zu ihrem Heimatland stark. Fereschteh hoffte lange Zeit auf eine Rückkehr in den Iran, während sie gleichzeitig versuchte, ihren Kindern in Deutschland ein sicheres und geborgenes Umfeld zu schaffen.
„Ich war noch keine 30 Jahre alt – ich habe Revolution erlebt, ich habe Flucht erlebt, ich habe Krieg erlebt, ich habe hier Exil erlebt. (…) Wir sind eine Familie wie alle anderen auch. Wir wollen normal leben, wie alle anderen auch. Wir möchten arbeiten gehen, wir möchten ein Auto haben, wir möchten ein Haus haben. Wir wollen leben wie die anderen“. (Interview Fereschteh, S. 390-393)
Trotz vieler Herausforderungen gelang es ihr, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Ihr politisches Engagement auch nach der Migration spielt für die gesamte Familie eine wichtige Rolle. Das Wohl ihrer Kinder steht dabei immer im Mittelpunkt.
Durch die Vielzahl von Autor:innen und Interviewten ermöglicht der Sammelband eine differenzierte Auseinandersetzung mit den sozialen Bedingungen, die geflüchtete Frauen in Deutschland umgeben. Die Publikation bietet vielfältige Einblicke in ihre facettenreichen Geschichten und fördert ein tieferes Verständnis für das, was sie erleben, die Widerstandsfähigkeit, die sie in ihrem Streben nach einer besseren Zukunft zeigen, sowie die Verantwortung und Herausforderungen, die die Gesellschaft zu bewältigen hat, um ihre Integration zu ermöglichen.
„Geflüchtete Frauen – Analysen – Lebenssituationen – Angebotsstrukturen“ ist auch ein Aufruf zum Handeln und ermutigt die Leser:innen, sich für die Rechte und das Wohlergehen von geflüchteten Frauen in ihren Gemeinschaften einzusetzen und die Rolle des sozialen Netzwerks bei der Integration von geflüchteten Frauen zu fördern. Auch ARRIVO BERLIN leistet durch seine Angebote einen Beitrag zur Umsetzung dieser Empfehlungen in die Praxis.
Schahrzad Farrokhzad, Karin Scherschel, Melanie Schmitt (Hrsgg.): Geflüchtete Frauen. Analysen – Lebenssituationen – Angebotsstrukturen. Berlin 2022, 1. Aufl., 307 S.