Mehr Engagement für Vielfalt und Toleranz nötig
Eine Kundin möchte den Elektriker mit Migrationshintergrund nicht in ihre Wohnung lassen. Ein Mitarbeiter kündigt, weil der Betrieb eine Auszubildende aus dem Irak eingestellt hat. Eine Patientin will sich nicht von der Pflegefachkraft aus Nigeria waschen lassen. Und ein Straßenbauer macht gegenüber einem Kollegen mit Fluchthintergrund immer wieder beleidigende Äußerungen über dessen Herkunft. Rassismus im Arbeitsalltag ist keine Seltenheit, sondern für viele Betroffene „Normalität“. Doch was kann dagegen getan werden?
„Rassismus liegt vor, wenn Menschen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Merkmale (z.B. Hautfarbe, Herkunft, Religion) als homogene Gruppen konstruiert, negativ bewertet und ausgegrenzt werden“, definiert der Mediendienst Integration das Phänomen. Und die Berliner Amadeu Antonio Stiftung betont: „Zahlreiche Menschen erleben alltägliche Diskriminierung aufgrund ihres Äußeren, wegen des Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur oder Religion. Rassismus trifft Betroffene nicht nur in Gewalt, sondern äußert sich auch in Gedanken, Worten und Handlungen. Die Einteilung von Menschen in ‚wir‘ und die ‚anderen‘, die vermeintlich weniger wert sind, ist die Grundlage von Ideologien der Ungleichwertigkeit.“
Gesamtgesellschaftliches Phänomen
Im Anfang 2023 vorgestellten „Lagebericht Rassismus“ betont die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Alabali-Radovan, Rassismus werde von vielen Menschen als gesellschaftliches Problem gesehen. So seien 90 Prozent der Bevölkerung davon überzeugt, dass es Rassismus in Deutschland gibt. 22 Prozent hätten selbst rassistische Erfahrungen gemacht. Betroffene bräuchten mehr Unterstützung, etwa durch den Ausbau von Beratungsangeboten. „Rassismus ist weitaus mehr als ein individuelles Vorurteil“, betonte sie. „Die ihm zugrundeliegenden Denkmuster sind historisch tief verankert, sodass sie die Weltsicht der Menschen vielfach auch unbewusst prägen können; Rassismus durchzieht daher die gesamtgesellschaftlichen Strukturen.“
Rassistische Diskriminierungen werden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge besonders häufig auf dem Wohnungsmarkt, beim Zugang zu Gaststätten und Clubs, bei Bankgeschäften, in der Schule und Hochschule, im Kontakt mit der Polizei, aber auch im öffentlichen Raum sowie im Arbeitsleben gemeldet. Im Afrozensus 2020 nannten 80,5 Prozent der Befragten ihre „ethnische Herkunft“ als häufigsten Grund für Diskriminierung im Arbeitsleben. Auch bei der Hautfarbe gaben 75,8 Prozent an, dass dieses ein häufiges Diskriminierungsmerkmal bei ihrer Arbeit war.
Rassismus verschwendet menschliche Talente
Die Antirassismus-Kommission des Europarats (ECRI) schreibt in einer Politik-Empfehlung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in Beschäftigung und Beruf: „Diskriminierung findet sowohl bei der Einstellung als auch am Arbeitsplatz statt. Sie behindert Chancen, verschwendet menschliche Talente, die für den wirtschaftlichen Fortschritt benötigt werden, und verschärft soziale Spannungen und Ungleichheiten. Die Beendigung der Rassendiskriminierung in Beschäftigung und Beruf würde bunt gemischte Belegschaften schaffen, die Arbeitgebern eine unbegrenzte Auswahl an Talenten bieten, die für jedes erfolgreiche Unternehmen notwendig sind.“
Zwar wird Vielfalt mittlerweile in vielen Betrieben als Normalität anerkannt und auch als Bereicherung gesehen. Dennoch stellen Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen eine zentrale Hürde zur Integration insbesondere von geflüchteten Menschen dar. In öffentlichen Debatten um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ist Rassismus jedoch nur selten Thema. Im Mittelpunkt stehen meist Sprachkenntnisse, die Anerkennung von Qualifikationen, bürokratische Hürden oder Probleme, die sich aus dem Aufenthaltsstatus ergeben.
Das liegt möglicherweise auch daran, dass nicht jeder rassistische Vorfall in einem Betrieb auf den ersten Blick zu erkennen ist. In seiner Studie „Ganz unten in der Hierarchie: Rassismus als Arbeitsmarkthindernis für Geflüchtete“ von 2020 beschreibt der Politologe Nikolai Huke unterschwellige Formen von Alltagsrassismus am Arbeitsplatz: Oft gehe es um ein wages Gefühl, ausgegrenzt zu werden, etwa, weil man nicht in die Gespräche der anderen Mitarbeiter einbezogen wird, oder weil man ein bisschen abfällig behandelt wird, ohne dass explizit rassistische Kommentare fallen.
Beratung, Sensibilisierung, Fortbildung
Doch wie kann ein Unternehmen eine antirassistische Kultur fördern, wie können sich Mitarbeitende gegen Diskriminierungen am Arbeitsplatz stellen und Betroffene unterstützen? Das Projekt „United! Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ des Vereins „Gesicht Zeigen!“ hat sich 2021 in der Studie „Rassismus im Kontext von Wirtschaft und Arbeit. Bestandsaufnahme und Handlungsoptionen“ mit diese Fragen auseinandergesetzt.
Insgesamt macht die Studie deutlich: 20 Prozent der Befragten haben schon einmal an ihrem Arbeitsplatz beobachtet, dass Menschen rassistisch diskriminiert wurden oder haben es dort selbst erlebt. Rund 39 Prozent der von Rassismus Betroffenen wissen nicht, an wen sie sich im Unternehmen wenden können. Mehr als jeder dritte Beschäftigte wünscht sich mehr Fortbildungen zu diesem Thema. Und rund 57 Prozent der Befragten möchten, dass Unternehmen in der Öffentlichkeit stärker Haltung gegen Rassismus zeigen.
Die Studie empfiehlt Unternehmen daher eine klare und transparente Kommunikation über ihr Vorgehen gegen Rassismus und die Integration des Themas in die Unternehmensstrategie. Beispielsweise indem zusammen mit den Mitarbeitenden ein Leitbild entwickelt oder eine Beschwerdestelle eingerichtet wird. Um Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, sind darüber hinaus Fortbildungen und Trainings für Beschäftigte wichtig. So werden Mitarbeitende im Umgang mit Rassismus geschult. Der Aufbau von Netzwerken sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit gleichgesinnten Organisationen helfe zudem, Kräfte im Einsatz gegen Rassismus und für Vielfalt und Toleranz zu bündeln.
Unterstützung durch ARRIVO BERLIN
Auch ARRIVO BERLIN leistet einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung für Rassismus und Diskriminierung. Die Unterstützung der Teilprojekte, insbesondere des Servicebüros für Unternehmen, trägt dazu bei, Unsicherheiten und Bedenken der Betriebe bei der Einstellung von geflüchteten Menschen zu reduzieren. Angefangen bei Fragen zum jeweiligen Rechtsstatus, über zusätzliche Sprachvermittlung bis hin zu betrieblichen Maßnahmen für eine gelingende Zusammenarbeit aller Mitarbeitenden.
In der Veranstaltungsreihe #kurzUNDbündig ging es im vergangenen Jahr beispielsweise auch um das Thema „Rassismus in der Belegschaft begegnen“. Die Online-Kurzseminare des Servicebüros in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge richten sich an Betriebe, die Menschen mit Fluchthintergrund ausbilden und beschäftigen. Dabei geben Expert:innen in 30 Minuten praktische Tipps und bieten einen Rahmen für einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch.
Quellen:
Mediendienst Integration: https://mediendienst-integration.de/desintegration/rassismus.html
Lagebericht Rassismus: https://www.integrationsbeauftragte.de/resource/blob/1864320/2157012/77c8d1dddeea760bc13dbd87ee9a415f/lagebericht-rassismus-komplett-data.pdf?download=1
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/lebensbereiche/arbeitsleben/arbeitsleben-node.html
Afrozensus: https://afrozensus.de/
Antirassismus-Kommission des Europarats (ECRI): https://rm.coe.int/allgemeine-politik-empfehlung-nr-14-der-ecri-schluesselthemen/16808e55bd
Statistisches Bundesamt: Umfrage zu Diskriminierungsmerkmalen im Arbeitsleben: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1280868/umfrage/umfrage-zu-den-haeufigsten-diskriminierungsmerkmalen-im-arbeitsleben/
Gesicht Zeigen!“ e.V.: Rassismus am Arbeitsplatz entgegenwirken: https://www.gesichtzeigen.de/wp-content/uploads/2022/02/studie_rassismus-im-kontext-von-wirtschaft-und-arbeit.pdf