Buchrezension: Ausbildung statt Ausgrenzung – Wie interkulturelle Öffnung und Diversity-Orientierung in Berlins Öffentlichem Dienst und in Landesbetrieben gelingen können
Zwei Jahrzehnte Teilhabepolitik liegen hinter dem Berliner Senat: 2005 machte er sich auf den Weg, die Verwaltung sowie Landesbetriebe für die Beschäftigung von mehr Jugendlichen mit Migrationsgeschichte zu öffnen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren Menschen aus Zuwanderungs-Communitys unterrepräsentiert. Wie kann Schule und Ausbildung angepasst werden, sodass mehr Menschen den Weg dorthin finden? Wie können Bewerbungs- und Einstellungsverfahren geändert werden? Was macht Arbeitgeber:innen für unterschiedlichste Zielgruppen attraktiv? Und welche Rolle spielen eigentlich Berufsschulen dabei? Andreas Germershausen und Wilfried Kruse haben Bilanz gezogen.
Auf über 220 Seiten beschreiben Andreas Germershausen und Wilfried Kruse die Teilhabe- und Integrationspolitik des Berliner Senats der vergangen zwei Jahrzehnte. Ein Startmoment ist 2006 die Schaffung des Senatsressort Integration, Arbeit und Soziales, um so das Thema als politisches Handlungsfeld aufzuwerten. 2007 wird mit dem Integrationskonzept eine Abkehr von der bisherigen „Ausländerpolitik“ der 1990er Jahre, hin zu einem „komplexen und handlungsorientierten integrationspolitischen Ansatzes für die Einwanderungsstadt Berlin“ vollzogen. Diese politischen Rahmenbedingungen zur Öffnung des Berliner Ausbildungsmarktes werden insbesondere in den ersten drei Kapiteln besprochen.
„Berlin braucht dich!“
Ausgehend von der Kampagne „Berlin braucht dich!“, welche junge Menschen mit Migrationsgeschichte motivieren soll, sich beim Öffentlichen Dienst und in Landesbetrieben zu bewerben, beschreiben die Autoren die politischen, zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansätze, Ausbildung auf die Agenda zu setzen. Sie beschreiben Good Practices, aber auch deren Grenzen.
So greift etwa der Diskurs zu kurz, wenn der Fokus lediglich auf die Motivationen und die mitgebrachten Kompetenzen der jugendlichen Bewerber:innen gelegt wird. Ein umfassenderes Bild muss gezeigt werden: die Berufsorientierung an Schulen, das Übergangssystem, der theoretische Unterricht in Berufsschulen und die Betriebe selbst müssen sich einer kritischen Hinterfragung unterziehen. Alle tragen ihren Teil dazu bei, jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eine berufliche Perspektive zu ermöglichen.
Viel Neues entsteht
Auf Grundlage der integrationspolitischen Rahmenbedingungen formen sich in den 2010er Jahren etliche Formate und Projekte, um die Ausbildung zu fokussieren: Berliner Vertiefte Berufsorientierung, Duales Lernen, Berufspraktische Erprobungen, BerlinArbeit, der Aufbau der Jugendberufsagenturen 2014, Neue Wege in die Ausbildung und andere.
Als ein bemerkenswertes Moment beschreiben die Autoren in Kapitel 9 die Protestaktionen um den Oranienplatz von 2012 bis 2014, durch welche die Aufmerksamkeit vermehrt auf eine weitere Zielgruppe gerichtet wird: junge geflüchtete Menschen. Der starke Zugang von Geflüchteten rückt Fragen der Integrationspolitik weiter ins Zentrum der Politik und Öffentlichkeit. Umgehend werden verschiedene Unterstützungsangebote aufgelegt: das Willkommenszentrum und Willkommensklassen werden eingerichtet, die Lenkungsgruppe „Arbeitsmarktintegration Geflüchteter“ entsteht, soziale Träger bauen ihre Projektstruktur aus.
Vieles erreicht und vieles zu tun
Die Autoren ziehen eine gemischte Bilanz und plädieren dafür, das Übergangssystem Schule – Arbeitswelt weiter in den Blick zu nehmen, auch wenn Berlin bereits von etlichen Erfahrungen und Erkenntnissen profitieren kann: „Der Einstieg in Berufsausbildung und ihr erfolgreicher Abschluss für jene, die bisher ‚außen vor‘ geblieben sind, gelingen nur, wenn Betriebe und Berufsschulen sich (noch) weiter für Vielfalt oder Heterogenität öffnen. Zugleich müssen Betriebe und Berufsschulen hierbei das pädagogische Potenzial, das berufspraktisches Lernen und die duale Lernortskombination haben, (noch) wirksamer werden zu lassen. In diesem Sinne ist Ausbildungsqualität auch integrationspolitisch eine wichtige ‚Stellschraube‘.“
Andreas Germershausen und Wilfried Kruse: Ausbildung statt Ausgrenzung. Wie interkulturelle Öffnung und Diversity-Orientierung in Berlins Öffentlichem Dienst und in Landesbetrieben gelingen können. Bielefeld, 2021.
Die gesamte Publikation zum Download:
https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/89/11/ef/oa9783839455678.pdf
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